Am 7. Mai 1945 war mein 16. Geburtstag, ein Tag bevor Deutschland im 2. Weltkrieg bedingungslos kapitulierte. Ich war ein ausgehungerter Flüchtling, der versuchte, dem russischen Angriff zu entkommen. Erschöpft und unterkühlt hockte ich im Straßengraben auf dem Weg zur Amerikanischen Front und versuchte mich etwas zu erholen, und betete, dass Gott mir erlauben möge bis zum reifen Alter von 32 zu leben. Ja genau, 32. Was für ein wundervoller Triumph und Erfolg das wäre! Zuerst einmal, schlichtweg zu überleben, und noch dazu bis 32 zu LEBEN. WOW!
(Wenn du mehr wissen willst, wie ich überhaupt dorthin gekommen und von dort entkommen bin, schlage ich vor mein Buch „Enjoying the Ride“ zu lesen. Es wurde 2002 veröffentlicht und ist in verschiedenen Formaten auf Amazon und anderswo erhältlich (einschließlich www.straube.com, wo es kostenlos und auch als Hörfassung erhältlich ist.)
Als ich dann tatsächlich 32 Jahre alt war, verheiratet und mit zwei Kindern, und in Kanada lebte, betete ich und hoffte, dass ich es bis 64 schaffe.
Nun, ich schrieb „Enjoying the Ride“ mit 73. Und wissen Sie was, ich mache immer weiter.
Das heißt, all diese Vorurteile über Zeit und Alter sind wirklich sinnlos. Die Zeit wird weitergehen, und man selbst mit ihr, diesen oder jenen Weg, bis zweifelsohne der Tag kommen wird, an dem es nicht mehr weitergeht. Aber dieser Tag hätte, wie bei mir, zwischen dem 16. und 32. Jahr, oder zwischen dem 32. und 64., oder irgendwann danach kommen können. Er wird definitiv irgendwann da sein, nur weiß ich nicht, wann das sein wird. Denn alles was zählt ist, dass es morgen sein könnte. Und das stimmt für jedes „heute“ das kommen wird. Der einzige Weg mit dem Lauf des Lebens umzugehen, ist sich keine Sorgen darüber zu machen, sondern HEUTE so gut wie möglich zu leben. Und das ist einfach toll. Dafür ist die Welt da, und deshalb sind wir auf dieser Welt.
Ich habe Hildegard geheiratet als ich 22 Jahre alt war. Sie war die perfekte Frau für mich: bildhübsch, sportlich, voller Witz und Energie, die klügste Frau die ich kannte, sowohl beruflich als auch sozial, und die wunderbarste Freundin.
Nun, im 64. Jahr unserer Ehe starb sie. Wie die Autopsie zeigte, kämpfte Hildegard seit langer Zeit mit ernsten Krankheiten, und diese waren letztendlich tödlich. Dennoch wusste keiner davon, selbst ich nicht, denn Hildegard lebte und interagierte ganz normal mit der Welt bis zu ihrem letzten Tag. Vielleicht wusste sie es, aber sie achtete darauf, dass es niemand merkt, obwohl es ihr sehr schwer gefallen sein mag. Das ist möglich. Aber dennoch führte sie bis zum Ende ein normales Leben. Und als es Zeit war zu gehen, saß sie in dem Sessel, von dem aus ich jetzt diese Zeilen schreibe, schloss ihre Augen und ihre Atmung verlangsamte sich. Wir saßen zu dritt neben ihr und ich hielt ihre Hand. Dann öffnete sie ein letztes Mal ihre Augen, schaute mich an, darin pure Liebe, als würde sie sich verabschieden, und dann schloss sie ihre Augen für immer.
Ja, Hildegard hatte ein erfülltes Leben. Nicht nur in bestimmten Abschnitten, sondern ihr ganzes Leben lang, von dem Moment an, ab dem sie für sich selbst Verantwortung übernahm bis zu ihrem Tod. Und ich denke so sollte das Leben sein. Alles andere wäre falsch, und hätte sowohl physische als auch psychische Auswirkungen.
Für mich folgte natürlich eine Zeit großer Trauer, eine Trauer die ich niemals wirklich überwinden werde. In meinen Gedanken und vielen anderen Dingen im Leben ist Hildegard immer noch bei mir, und wird es immer sein, da bin ich mir absolut sicher. Unsere Seelen sind bis in die Ewigkeit miteinander verbunden. Offen gesagt ist es sehr tröstlich, diese Verbindung zu haben und sie aufrecht zu erhalten.
Dennoch ist Hildegard jetzt auf der anderen Seite, nicht mehr in dieser Welt – irgendwo wohin ich ihr letztendlich folgen werde, genauso wie viele andere, wenn die Zeit reif ist. Aber bis dahin bin ich hier, und muss meine „Zeit füllen“ bis zu dem Tag, an dem ich dazu nicht mehr in der Lage bin. Das bedeutet ich lebe in dieser Welt, und muss tun was nötig ist, um präsent zu sein, genau hier, genau jetzt.
Deshalb kann und werde ich alles tun, um ganz lebendig zu sein; was mich zurück zu meiner Liste der „Wünsche und Freuden (A-G)“ bringt. Es ist in Ordnung, vielleicht sogar verpflichtend für Verstand und optimale Gesundheit, sich wieder zu verlieben, Sport zu machen, zu lernen, zu lehren, zuzuhören, zu lesen, etwas zu erschaffen, Geld zu verdienen, und diese Welt besser zu machen, auf Welche Art und Weise auch immer. Ja, ich bin hier, arbeite unter den Bedingungen dieser Welt, um zu tun, was hier und JETZT getan werden kann und sollte. Das ist alles. Außerdem ist es gesund und ungemein zufriedenstellend. Keine Zeit für Schmerz oder Leid oder noch schlimmer: zum „alt“ sein.
Chronologisch alt zu sein, so richtig alt wie 88+, ist eine wahre Meisterleistung, ein wünschenswerter Zustand. Denn dann sind Sie weiser, klüger, fitter als andere unter Ihrem Alter; das beweisen Sie schon allein indem Sie fast an der Spitze der Pyramide angelangt sind.
Menschen, die in meinem Buch als „Senioren“ bezeichnet werden, sind jene, welche nach Jahren leben, entsprechend dem Plan der Zeit. Sie akzeptieren diese Bezeichnung, da sie ein bestimmtes „Senioren“-Alter überschritten haben, welches auch immer das sein mag, da es je nach Gesellschaft und Gegend variiert. Was auch immer es ist, für meine Begriffe endet das Seniorenalter an irgendeinem Tag vor dem 88. Lebensjahr. Deshalb sind wir keine „Senioren“ mehr – stattdessen nennen wir uns „superbe Senioren“, denn offensichtlich ist diese Gruppe an der Spitze und sollte deshalb die größte Ehre und den größten Respekt erhalten.
In China haben sie das natürlich schon lange gewusst. Respekt für die Älteren war schon immer ein Teil der chinesischen Kultur. In China hat das Wort „alt“, aus Hochachtung vor älteren Menschen, einen Beiklang von Ehre. Und so sollte es sein, zumindest, wenn man dem gesunden Menschenverstand folgt. Damit ist die Verherrlichung der „Jugend“, wie es sie in der amerikanischen Kultur nun schon lange gibt, eine eher unreife Sicht auf die Welt. Es scheint jedoch, dass auch die Amerikaner langsam aus dieser Sicht herauswachsen. Vielleicht nur, weil die Prozentzahl der Alten gegenüber den Jungen immer weiter steigt. Was auch immer der Grund ist, ich denke es beweist, dass die Gesellschaft kultivierter geworden ist und mehr gesunden Menschenverstand nutzt, um die wirklich Alten zu schätzen und zu ehren.
Die älteste Zivilisation der Welt kannte diese Werte lange bevor sich Barbaren anderswo auf der Welt mehr oder weniger zivilisierten. Hier nur ein paar Beispiele an chinesischen Sprichwörtern von vor mehr als 5000 Jahren:
Ein altes Pferd kennt den Weg.
Ein alter Mann zu Hause [ist wie] ein lebender Goldschatz.
Alte Menschen haben viel Wissen und Erfahrung, [genauso wie] ein alter Baum viele Wurzeln hat.
Und wenn ich noch eine persönliche Beobachtung hinzufügen darf:
Warte bis du eine alte Frau triffst… Du wirst überrascht sein.